Die vier Evangelien sind die zentralen Texte des Christentums, die über Jesu Leben und Wirken berichten und seine Worte wiedergeben. Überliefert sind sie in altgriechischen Handschriften, deren älteste Exemplare aus dem vierten Jahrhundert stammen und die oft als Urtexte bezeichnet werden. Alle christlichen Konfessionen erheben den Anspruch, die Evangelientexte seien zuverlässig überliefert. – Doch das trifft nicht zu:
Weder handelt es sich bei den griechischen Handschriften um Urtexte,
noch sind die Evangelientexte zuverlässig überliefert.
Jesus hat nicht in Griechisch verkündigt (der damaligen Welt- und Handelssprache von der anderen Seite des Mittelmeers), sondern in seiner aramäischen Muttersprache – der ersten Weltsprache in der Geschichte der Menschheit. Sie ist in den letzten beiden Jahrhunderten intensiv erforscht worden, wird aber trotzdem in gegenwärtigen Evangelien-Übersetzungen so gut wie nicht berücksichtigt.
Der evangelische Theologe und Philologe Dr. Günther Schwarz hat auf der Grundlage der Arbeiten vieler anderer Forscher in einem Zeitraum von fünf Jahrzehnten den Wortschatz und Sprachgebrauch Jesu erhoben sowie katalogisiert und anschließend Seine Worte ins Aramäische rückübersetzt. Dabei entstanden seit 1968 über 115 Beiträge in theologischen Zeitschriften und 18 Bücher.
Rückübersetzungen sind naturgemäß fehleranfällig, und ein Anspruch auf ein korrektes Ergebnis ist wissenschaftlich leicht angreifbar. Gleichwohl hat sich im Laufe der Jahrzehnte ein Kriterium für genau diesen Anspruch herauskristallisiert:
Alle in die Überlieferung gelangten Jesus-Worte waren im Original poetisch formuliert,
und diese Poesie ist der Schlüssel für wissenschaftlich belastbare Rückübersetzungen.
Die Poesie Jesu
ist nur im Aramäischen zu erkennen – und auch dann nicht ohne weiteres, selbst wenn der Text, wie z. B. in einigen hebräischen Bibeln, in Sinnzeilen gesetzt ist. Daher sind in den neuesten Auflagen der Bücher des Ukkam-Verlages die poetischen Strukturen
grafisch und
farblich dargestellt. So ist es möglich, nachträglich das zu
sehen und zu
verstehen, was die Ohrenzeugen der Worte Jesu unmittelbar
hörten und
begriffen. Folgende Grafik bietet einen kleinen Eindruck davon:
Über 650 Jesus-"Worte" in den Evangelien sind derartig rhythmisch-poetisch-parallel formuliert: Aphorismen, Sprüche und Spruchgruppen, Gleichnisse, Zusammenfassungen öffentlicher und nicht-öffentlicher Ansprachen, Lehrvorträge und -gedichte, Streitgespräche usw. Diese Poesie war der Grund dafür, dass seine "Worte" von Zuhörern zunächst auswendiggelernt, dann aufgeschrieben, schließlich gesammelt, ins Griechische übersetzt und bis heute überliefert wurden. Und aufgrund der vielfältigen poetischen Formen waren alle seine "Worte" einprägsam und konnten fehlerfrei wiederholt werden - solange das im Aramäischen geschah.
Nach der Übersetzung seiner Worte ins Griechische war jede Poesie verloren … und ebenso ein Großteil des Sinns und damit der Botschaft.
Angesichts dieser Erkenntnisse wird den Jesus-"Worten" Gewalt angetan, wenn sie im bibelüblichen Blocksatz und als Prosatexte gesetzt werden.
Vaterunser
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Poesie schon im Alten Testament
Gemäß der Deutschen Bibelgesellschaft liegt "je nach Einschätzung und Abgrenzung der Anteil poetischer Formung der Schriften des Alten Testaments bei einem Anteil von ca. 25 % und mehr". Leider ist dies in den Standard-Übersetzungen so gut wie nicht zu erkennen, und in christlicher Verkündigung wird die Poesie höchstens als Nebenaspekt erwähnt. Doch in einem Lehrbuch für Theologie-Studenten (G. Fohrer, Einleitung in das Alte Testament, ISBN 3-494-00338-6) ist dazu zu lesen:
„… Poesie ist nicht bloß eine Kunstform, sondern gilt ursprünglich als Kennzeichen der Inspiration, des Umgangs mit der übermenschlichen Welt. Poetische Form verleiht wiederum einem gesprochenen Wort eine solche Autorität und Macht, wie man sie etwa in Fluch und Segen beschlossen glaubt. Es scheint so, dass ein Prophet, der im Namen Jahwes zu verkündigen behauptete oder ein Weisheitslehrer, der eine ihm von Gott oder den Vätern zuteil gewordene Einsicht oder Lebensregel weiterzugeben beanspruchte, nur Gehör finden konnte, wenn sie ihre Worte in ein metrisch-rhythmisches Gewand kleideten.“
Jesus wuchs also in einem Umfeld auf, in dem religiöse Botschaften poetisch formuliert und dann weitergegeben wurden. Daher ist es mehr als naheliegend, dass auch er seine "Frohbotschaft" in poetische Formen kleidete.
Theologische Ergebnisse
Die Wiederherstellung der Poesie Jesu hat sowohl zu weiterführenden Erkenntnissen hinsichtlich seiner Botschaft geführt wie auch zu neuen Erkenntnissen über das Entstehen der heute vorliegenden Evangelientexte. Diese wurden geschrieben und übersetzt zu einer Zeit, als die Texte noch nicht als heilig galten. Dabei wurde (unabsichtlich) an vielen Stellen falsch ins Griechische übersetzt, es wurden aber auch Wörter und Textpassagen willkürlich weggelassen und ebenso bedenkenlos hinzugefügt. So entstanden die christliche Drohbotschaft mit ewiger Verdammnis, Hölle, Zölibat usw. sowie ein Vielzahl leidvoller Ge- und Verbote – alles geeignet, um Menschen Angst zu machen und in der Folge Macht über sie auszuüben. Die ursprüngliche Lehre Jesu wurde dabei immer mehr verschüttet und entstellt.
Durch die Rückübersetzung und die Berücksichtigung der Poesie konnte die wirkliche Frohbotschaft Jesu wiederhergestellt werden. Sie geht weit über christliche Lehre und Weltbild hinaus.